15.01.2010. - 06.02.2010
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BOHOMAZ | CZARNOBYL | EMESS | EVOL | PISA73
Eröffnung am 15.01.2010 um 19.00 Uhr
Stencils sind ohne Zweifel die schnellste, unmittelbarste und wirkungsvollste Methode, ein
Bild auf eine Wand, einen Bürgersteig oder so gut wie jedes andere Objekt
aufzubringen. Doch darüber hinaus ist die Schablonenmalerei auch eine der ältesten Kunstformen der
Menschheit, die seit der Steinzeit durch alle Epochen hindurch praktiziert wurde.
In den 70er und 80er Jahren kam es in den USA und Europa gleichzeitig zu einem
regelrechten Revival der Schablonenkunst. Der bekannsteste Vertreter dieser
Zeit ist sicherlich der französische Pochoirkünstler Blek le Rat, der vielen als Begründer der
Schablonenkunst in ihrer heutigen Ausprägung gilt.
Im Zuge des Streetart-Booms Ende der 90er Jahre wurde die Technik kontinuierlich zur heutigen
Form weiterentwickelt. Dabei dominiert nicht ein Stil, sondern durch die Verfeinerung der
Technik, kam es eher zu einer Diversifizierung der Stile. Die fünf Berliner Künstler stehen stellvertretend für die Vielfalt der Ausdrucksformen, die mit ein und derselben Technik möglich
sind.
BOHOMAZ
meist einfarbige, großformatige Schablonengraffiti stecken voll von rätselhaften Tieren, Monstern, Robotern und Maschinen verborgen in einem Dschungel aus wilder Ornamentik und grafischen Mustern. Seine kontrastreichen tribalhaften Motive muten dabei manchmal fast wie Linolschnitte an.
Für den bekennenden Comicfanatiker sind Stencils die ultimative Form der Reproduktion, die ohne den Einsatz von Maschinen auskommt, denn seine Schablonen sind alle
handgezeichnet. Seine wichtigste Inspirationsquelle ist die Vergangenheit, sowohl die kunsthistorische, als auch die persönliche Erfahrung ist ein Motor für seine Arbeiten. So nimmt er Elemente aus vergangenen Kunstepochen in seine Bilder auf, um diese dann wiederum abzuwandeln und zu reduzieren.
Seine Bilder verständigen sich auf vielfältige Weise. Sie stellen einerseits eine Verbindung zwischen der Aussenwelt und dem Innenleben des Künstlers her, andererseits vermitteln sie ihre Botschaften an den Betrachter auf der Strasse. Darüberhinaus kommunizieren die Graffitis verschiedener Künstler untereinander. Dadurch
entsteht ein völlig neues, in sich geschlossenes, semantisches System, in dem die Schablonen zu Buchstaben werden und in dem die einzelnen Elemente mit Informationen und Inhalten aufgeladen sind.
www.flickr.com/photos/10905526@N07/
CZARNOBYL
Im Gegensatz zu den meisten Protagonisten des derzeitigen Street-Art-Hypes reicht
CZARNOBYLs Erfahrung mit Schablonen als Ausdrucksmittel im Stadtraum zurück bis
1990. Dabei übertreffen seine Detaildichte und sein handwerkliches Geschick das der
meisten anderen, die sich dieser Technik bedienen.
CZARNOBYL, 1974 in Polen geboren, lebt seit 1993 in Berlin. 1990 entdeckte er
Schablonen als Ausdrucksmittel für seine Gefühle und Ideen. Durch die farbige
Veränderung grauer Gebäude versuchte er, die Aufmerksamkeit der sogenannten normalen
Leute auf Streetart im Allgemeinen und seine Kritik am System im Besonderen
zu lenken.
In Berlin entwickelte sich sein Stil weiter und er experimente mit aus Teilen alter
Schablonen zusammengesetzten Bildelementen. CZARNOBYLs aktuelle Arbeiten wirken
durch ihre Vielzahl an Farbabstufungen und ihrem Detailreichtum fast fotografisch. Er
arbeitet auf Leinwand, Metall, Holz, Plastik, Glas und nicht zuletzt auf Wänden.
www.myspace.com/czarnobyl
www.stencil-spray.de
www.flickr.com/photos/10714673@N02/
EMESS
ist weniger der Streetartist der Superlative und Weltrekorde - vielmehr besticht
seine Arbeit etwa seit Anfang dieses Jahrtausends durch eine beachtliche formale
Bandbreite und wandlungsfähige Vielschichtigkeit. EMESS empfindet sich als urbaner
Bildhauer und Drucker, bedient sich jedoch der unterschiedlichsten
Ausdrucksmittel um seine Interventionen auf die Gestaltung des öffentlichen Raumes
wirken zu lassen. Die Palette des Berliner Künstlers reicht von Posterwänden über
grossformatige Schablonenarbeiten bis hin zu metergrossen Installationen - EMESS
wählt Medium, Ort und Zeit seiner Interventionen nach beabsichtigter Aussage. Hier
geht es nicht um artige Streetdeko - EMESS´ Arbeiten sind auf den Ort ihrer
Anbringung zugeschnitten, oft unbequem oder regen zum Nachdenken an und stechen
heraus.
Neben einer Reihe von Beton- und Holzinstallationen arbeitete EMESS im vergangenen
Jahr intensiv an der Serie WHAT´S THE COLOUR OF MONEY, schablonierten Portraits zum
Thema Finanzen, die unsere profane Beziehung zum lieben Geld thematisieren.
Altbekannte Stiche der Konterfeis von Persönlichkeiten handeslüblicher Währungen wie
Dollar, Pfund, dänischer und schwedischer Kronen oder türkischer Lira, die antike
Handwerklichkeit des Stils des Holz- und Kupferstichs werden mit der Poppigkeit
moderner Musiktitel kombiniert. EMESS zeigt in seinen aktuellen Arbeiten, dass der Ursprung der Strassenkunst nicht nur im Graffiti allein zu suchen ist, sondern diese Kunstgattung durchaus ihre Wurzeln in Konstruktivismus, Popart und Dada hat.
www.atmberlin.de
www.flickr.com/photos/atm_gallery/sets/72157606779331658/
www.flickr.com/photos/atm_gallery/sets/72157606741909098/
Evol
findet seine Themen, Motive und Materialien buchstäblich auf der
Strasse. Die Pappkartons und Holzbretter mit Portraits von einfachen
Hausfassaden und die Stromkästen, auf die er seine Plattenbauten
aufbringt, zeigen Details aus einer Stadt, die ihre Geschichte beständig umschreibt. Vom Versprechen
des sozialistischen Traumes, der sich in einen dysfunktionalen Albtraum
verwandelte einerseits und von den ehemals existierenden Freiräumen in den
mittlerweile fast vollständig sanierten, gentrifizierten und
kommerzialisierten Altbauvierteln andererseits.
Er schafft eine, auf allen Ebenen, vielschichtige Kunst, bei der Inhalt
und Material unzertrennbar miteinander verwoben sind. Die Fassaden der
Häuser dienen ihm einerseits als Indikator für den Zustand unserer
Gesellschaft, sind gleichzeitig Inhalt der künstlerischen
Auseinandersetzung und können darüberhinaus auch noch die Fläche bieten,
auf der die Arbeiten letztendlich präsentiert werden.
Als Werkstoffe verwendet er hauptsächlich ausrangierte Pappkartons und
Stromkästen, die mit den Hausfassaden gemein haben, dass sie die Zeichen ihrer Nutzung zeigen. An den Kartons fasziniert ihn vor allem, dass ein an
sich wertloser Stoff, mit all seinen Spuren, eingedrückten Stellen und
Aufdrucken, durch das Aufbringen eines Bildes einen völlig neuen Wert erlangt.
Und doch sind diese Kunstwerke, genau wie die Fassaden der Häuser,
unumgänglich dem Verfall und dem Altern preisgegeben.
www.flickr.com/photos/evoldaily
www.evoltaste.com
PISA73
ist seit vielen Jahren ein aktives Mitglied der Berliner Urban
Art-Szene, wobei er mit verschiedenen Crews zusammenarbeitete und eine Vielzahl von
Medien wie Sticker, Paste-Ups, Schablonen und Tags verwendete. Seine Arbeiten finden
sich in wichtigen Publikationen zur Street Art wie Urban Illustration: Street Art
City Guide, Berlin City Language und Graffitti World und wurden gemeinsam mit Werken
von Künstlern wie Swoon, Shepard Fairey, Jean-Michel Basquiat und Keith Haring
ausgestellt.
In seinen aktuellen Arbeiten setzt sich PISA73 auch weiterhin mit den Themen Macht
und Machtausübung durch staatliche Organe auseinander, jedoch ist seine bisherige
Sichtweise von einem eher introspektiven Blick abgelöst worden, der die Identitäten
der Abgebildeten bildnerisch auflöst und neu verhandelt. Ein Bruch tut sich auf
zwischen der minimalen visuellen Information, die die Werke vermitteln und den
umfassenden politisch-gesellschaftlichen Konnotationen, die sie beinhalten. PISA73
bricht dabei mit traditionellen Verfahren der Schablonierung wie Zweifarbentechnik
und flachen Farbfeldern und übernimmt Techniken des Pointilismus. Einst selbst eine
radikale Bewegung, ist der Pointilismus heute weitgehend vom Postkartenkitsch
vereinnahmt worden. PISA73s zeitgenössische Aneignung dieser Technik spricht jedoch eine andere Sprache.
www.pisa73artwork.blogspot.com
www.pisa73.blogspot.com
www.pisa73.com
www.flickr.com/photos/pisa73
* Leider war es den beteiligten Künstler aufgrund fortgeschrittener Demenz, verursacht durch das jahrelange Einatmen von Aerosolgasen, nicht möglich, einen
Titel für die Ausstellung zu finden.
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